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Was "Open Access" kostet
Eine Bitte an den Steuerzahler, genau hinzuschauen

Seit August 2007 ist klar, dass "Open Access", die Einstellung aller wissenschaftlichen Texte auf Internet-Plattformen, das wissenschaftliche Publizieren nicht billiger macht. Denn damals kündigten die Kline Science Library und die Cushing/Whitney Medical Library, die zum Bibliothekssystem der Universität Yale gehören, ihre Mitgliedschaft bei "BioMed Central" (BMC), der großen und kommerziell erfolgreichen Open-Access-Plattform. Dieser Schritt sorgte unter den Anhängern des elektronischen Publizierens für Verblüffung. Yale machte öffentlich, dass man sich von Seiten der Bibliothek an BMC erst dann wieder beteiligen wolle, wenn dort ein "gangbares Geschäftsmodell" vorgelegt würde. Damit hatte sich in Yale bewahrheitet, was eine an der Medizinischen Universität Wien ein Jahr zuvor unternommene Studie - http://www.egms.de/pdf/journals/mbi/2007-6/mbi000050.pdf - erhoben hatte: Open Access bringt für die Zeitschriftenetats der Bibliotheken keine Entlastung, ganz im Gegenteil.

Warum das so ist, wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie Open Access funktioniert. Die Grundidee besteht darin, dass die Autoren der Plattform eine Bearbeitungsgebühr bezahlen, mit der sie ihre Kosten decken und sicherstellen will, dass der veröffentlichte Beitrag auf alle Zeit weltweit allen Interessierten elektronisch zur Verfügung steht. Da man nicht in die Zukunft schauen kann, bedeutet das Gebühren, die die zukünftigen Kosten antizipieren und weitere Autoren nicht abschrecken. Bei BMC sind das im Schnitt 1074 Euro pro Beitrag.

Dieses Bezahlmodell bewirkt, dass Open Access für die Einrichtung, die die Bearbeitungsgebühr zu bezahlen hat, linear desto teurer wird, je mehr ihrer Autoren nach diesem Modell publizieren wollen. Und ebendas war in Yale Realität geworden: Die Kline Science Library und die Cushing/Whitney Medical Library hatten im Jahr 2005 gerade einmal 4685 Dollar für die elektronischen Publikationen ihrer Wissenschaftler aufgewendet; im Jahr 2006 mussten sie aber bereits 31 625 Dollar bereitstellen, und 2007, im Jahr der Kündigung bei BMC, waren es 64 600 Dollar. Bei einem Bibliotheksetat in Yale von 75 Millionen Dollar - 4,2 Millionen Dollar für elektronische Zeitschriften und Serien, 7,7 Millionen für gedruckte Fachzeitschriften und 12 Millionen für Bücher - sind die 64 600 Dollar, die Yale für Open-Access-Publikationen seiner Wissenschaftler bezahlen sollte, wahrlich ein Klacks. Warum also zog man die Notbremse?

Der Grund: In Yale arbeiten alleine an der School of Medicine 1849 Wissenschaftler. Müsste Yale jedem von ihnen pro Jahr auch nur einen Beitrag bei BMC finanzieren, würden rund 2,5 Millionen Dollar fällig werden. In einem Land, das sich so vollständig dem Modus von "publish or perish" unterworfen hat, muss man davon ausgehen, dass es dabei nicht bleiben würde, dass vielmehr pro Wissenschaftler und Jahr drei oder vier oder mehr Aufsätze zu finanzieren wären. Und das heißt: Ein Umstieg auf Open Access lediglich für die medizinischen Publikationen würde pro Jahr um die zehn Millionen Dollar kosten. Damit würde Yale auf medizinischem Gebiet etwa ebenso viel Geld aufzuwenden haben, wie es bisher für die Abonnements gedruckter und elektronischer Fachzeitschriften und Serien aus allen Wissenschaftsdisziplinen zu bezahlen hat.

Die scharf rechnenden Administratoren von Yale standen mit ihrem Befund nicht alleine, denn im Jahr 2007 kündigten 15 weitere amerikanische Wissenschaftseinrichtungen ihre Mitgliedschaft bei BMC. Hierzulande waren 2005 noch 50 wissenschaftliche Einrichtungen Mitglied bei BMC, heute sind es 29; Großbritannien zählte 2006 130 Mitglieder, 2009 aber nur noch 24; und in den Vereinigten Staaten sank die Mitgliederzahl im selben Zeitraum von 145 auf 94. Die Anhänger von Open Access verweisen zwar darauf, dass BMC ein kommerzielles Modell sei, so dass man den Schluss ziehen müsse, nichtkommerzielle und durch die öffentliche Hand finanzierte Angebote aufzubauen. Und es klingt ja auch wirklich sympathisch, wenn nur knapp die Hälfte aller Open-Access-Zeitschriften überhaupt Bearbeitungsgebühren erhebt und alle anderen kostenlos arbeiten.

Doch das ist Augenwischerei. Denn auch die "kostenlos" arbeitenden Plattformen verursachen Kosten. Diese werden aber in den Etats von Universitäten, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen oft versteckt, nicht gezählt oder gar als Einnahmen gebucht. Während man die Ausgaben für Bücher, Zeitschriften und Medien in den einschlägigen Statistiken nachweist, fehlt für Deutschland nicht nur eine Gesamtstatistik der Open-Access-Kosten, sondern die Fülle der auf die deutschen Universitäten verteilten Open-Access-Projekte wird auf der Ebene der einzelnen Universität als Einwerbung von Drittmitteln und folglich als Einnahme behandelt. Kein Wunder also, dass niemand weiß, was Open Access kostet; denn das ist eine Information, an der man im System der Drittmittelforschung gar kein Interesse hat.

Die "Public Library of Science" (PLoS), die bekannteste nichtkommerzielle Open-Access-Plattform, berechnet für die Publikation eines Artikels im Durchschnitt 1806 Euro. Man wird angesichts dieser Zahl davon ausgehen können, dass der Betrag, den PLoS für eine Publikation verlangt, in etwa dem entspricht, was eine Open-Access-Plattform benötigt, um die Grundkosten für einen Artikel decken und darüber hinaus in Hard- und Software und Personal und damit in ihre Zukunft investieren zu können. Geht man nun davon aus, dass Open Access ein Publikationsmodell für alle Wissenschaften werden soll, dann muss man für sämtliche 175 000 Wissenschaftler, die die Deutsche Bildungsstatistik für das Jahr 2007 zählt, Open-Access-Veröffentlichungen finanzieren. Fallen dabei kostenwahre Gebühren wie bei PLoS an, muss der Steuerzahler für eine Publikation pro deutschem Wissenschaftler einen Betrag von 316 Millionen Euro bereitstellen. Bei zwei Publikationen werden 632 Millionen Euro fällig, bei drei Veröffentlichungen sind wir dann schon knapp unter einer Milliarde Euro.

Wer daher fordert, Open Access in öffentlicher Hand aufzubauen, und obendrein fordert, dieses Publikationssystem für alle öffentlich bezahlten Wissenschaftler verpflichtend zu machen, der muss dem Steuerzahler erklären, warum es attraktiver sein soll, pro Jahr mit rund einer Milliarde Euro 525 000 Open-Access-Aufsätze zu fördern, anstatt mit 785,5 Millionen Euro ein wissenschaftliches Bibliothekswesen, das 3,4 Millionen Bücher beschafft, 2,3 Millionen Kauflizenzen für digitale Medien und 580 000 Zeitschriftenabonnements mit Abermillionen von Aufsätzen verwaltet und noch dazu das Personal bereitstellt, um den interessierten Wissenschaftlern und Laien den Weg durch diese Publikationsflut zu weisen. Freilich: Um in den Genuss dieser Segnungen zu kommen, muss man sich von zu Hause oder seinem Arbeitsplatz in eine wissenschaftliche Bibliothek bewegen. Für eine Milliarde Euro kann man jetzt sitzen bleiben, bekommt dafür einen Bruchteil Wissenschaft und nennt das "freien Zugang". Uwe Jochum

Der Autor ist Bibliothekar an der Universitätsbibliothek Konstanz.


Text: F.A.Z., 17.06.2009, Nr. 137 / Seite N5